simpsons3
Gast
Ich glaube, ich muß dir mal erklären, was der Unterschied ist zwischen "klassischen Liberalen" (auch Manchesterliberale, Beispiel Cobden & Bright) und "Neoliberalen" (auch Ordoliberale, Beispiele Ludwig Erhardt, Walter Eucken).
Beides sind Strömungen des Liberalismus, die sich Gedanken darüber machen, wie auch im Wirtschaftlseben der Menschen (welches das alltägliche Leben viel unmittelbarer betrifft als die Politik) möglichst viel Freiheit herrschen kann. Beide sehen die Freiheit des Verbrauchers ebenso wie die des Kleinunternehmers bedroht, wenn Big Business und Big State in der Lobby Absprachen treffen, die den Wettbewerb ausbremsen und Monopole ermöglichen.
Die Wege, dies zu verhindern, sind der Unterschied zwischen Manchesterliberalen und Ordoliberalen: Manchesterliberale würden am liebsten sämtliche Ministerien abschaffen, die überhaupt für Lobbyisten interessant sein könnten, und den Staat ausschließlich auf seine Kernkompetenz als Sicherheitsdienstleister beschränken - den "Nachtwächterstaat". Ein Staat, der niemanden in die Lobby einlädt, weil es dort garnichts zu besprechen gibt, kann den freien wettbewerb garnicht zugunsten bestimmter Lobbyisten verzerren.
Dummerweise erfordert dies, daß der Staat freiwillig Kompetenzen abgibt.
Neoliberale/Ordoliberale haben insoweit vor "Big State" kapituliert, als daß sie dem Staat zugestehen, wie bei Calvinball immer wieder die Spielregeln des Wettbewerbs anzupassen, aber dem Staat dafür auch (bei Erhardt in gestalt des Bundeskartellamtes) die Pflicht auferlegen, zu verhindern, daß einzelne Vertreter von "Big Business" zuviel Macht bekommen.
Kurz: klassische Liberale (und Libertäre) sehen im Staat das Problem, Neoliberale sehen den Staat in der Pflicht, die Probleme, die er verursacht auch wieder selbst zu lösen.
Ok, du hast recht, ich hab mich im Wort geirrt und "neoliberal" hier zu inflationär eingesetzt. Ändert aber nichts am Grundsätzlichen, denn ich finde: Eine Gesellschaft muss frei sein (in Bezug auf Überwachung, auf Pflichten, auf Grundrechte, ect.), aber ein Markt braucht Regeln. Deswegen ordne ich mich selber auch dem linksliberalen/sozialliberalen Bereich zu. Regeln für den Markt, Freiheit für den Menschen.
Wichtig ist aber eins: Die Regeln dürfen den Wettbewerb nicht behindern. Sicher kann ich z. B. als Staat die Preise für Bananen nach oben hin begrenzen, das führt aber am Ende dazu, dass manche Wettbewerber mit hohen Bananenpreise (z. B. für Bio- oder Fairtraide-Waren) aus dem Markt gedrängt werden. Deswegen halte ich sowas für sinnlos. Auch eine Benzinpreisbremse (wie z. B. in Luxemburg) will ich nicht unbedingt. Preisuntergrenzen darf es nur bei einer Ware geben: Bei menschlicher Arbeit. Denn hier geht es nicht um den Markt als solches, sondern um den "Wert" eines Menschen.
Und was die "Widersprüche" in den Punkten des Grundsatzprogramms betrifft, die sich mit Steuern befassen, hast Du offensichtlich nicht gründlich genug gelesen: direkte Steuern, wie die EkSt und die GEZ werden ohne wenn und aber gestrichen, einfach, weil es böse ist, den Leuten ihr Geld wegzunehmen. Indirekte Steuern dagegen, bei denen der Verbraucher die Wahl hat, ob er das besteuerte Gut konsumieren will, sind Angelegenheit der Kommunen. Wenn Köln sich über Parkgebühren, Mineralölsteuer und Tabaksteuer finanzieren will, hat man die Wahl, zu zahlen oder Fahrrad zu fahren. Wenn Düsseldorf sich über die MwSt finanzieren will, kann man sich überlegen, ob man zum Einkaufen an die Kö fährt. Wenn Wuppertal sich über Grundsteuern finanziert, kann man schaun, ob die Mieten hier dann immer noch so günstig sind. Und wenn alle drei Städte sich einig sind, daß die Polizei eine Landesbehörde bleiben soll, dann überweisen sie dafür einen Anteil ihrer städtischen Steuereinnahmen an's Land, anstatt wie bisher auf eine Zuteilung aus Landes- und Bundessteuern zu warten.
Ganz ohne steuern kommt das Konzept nicht aus, aber es ist insofern freiheitlicher als alles, was wir bis jetzt haben, als daß der Bürger als mündiger Verbraucher eine informierte Entscheidung treffen kann.
Erstmal was elementares: Es heißt "ESt", nicht "EkSt", und es heißt richtigerweise eigentlich auch "USt" statt "MwSt" (letzteres ist aber ein verzeihbarer Fehler). Dann ist die GEZ keine Steuer. Das mag zwar den Bürger nicht interessieren, den interessiert nur, dass sein Geld weg ist, aber das ist eine wichtige Unterscheidung.
Dann zum Widerspruch: Auch bei indirekten Steuern hat der Marktteilnehmer nur begrenzt die Möglichkeit, diese Steuern zu Umgehen. Beispiel: 19 % USt auf Wasser. Und jetzt will ich deine Steuervermeidungstaktik sehen. Nicht mehr duschen? Nichts mehr trinken oder essen? Mein Scheibenwischwasser ist leer, soll ich jetzt "auf dem Trockenen" fahren?
Das Konzept regionalisierter Steuern ist, insbesondere wenn es um Konsumbesteuerung geht, sowieso extrem !§#$%&?. Dann kauf ich meinen Tabak halt in Luxemburg, mein Fleisch in Trier, mein Gemüse in Farschweiler und meine Milch in Osburg. Am Ende hab ich keinen Cent Steuern gezahlt - der Dumme ist der Staat, der vor der Insolvenz steht.
Die Grundsteuer ist übrigens nur bedingt eine indirekte Steuer. Für den Eigentümer ist sie eine direkte Steuer, für den Mieter gerade in "familiären" Mietverhältnissen (also wenn Mieter und Vermieter sich schon lange kennen und die Miete faktisch nur bei Neuvermietung angepasst wird), die ca. ein Drittel aller Mieter betreffen, absolut ohne Auswirkung.