So weit so gut, dann sind wir eben alle nur empört, auch das kann ja Strafe genug sein.
Nun ja, es wäre Strafe ohne Strafbedürfnis. Die Sache gibt die Strafe aus sich heraus her.
Verhindern? Wie denn? Dass jemand der einen anderen Menschen tötet in dieser Situation nicht gerade vernünftig handelt ist ja wohl unstrittig, oder?
Eben, wie soll man sowas verhindern? Man kann nur darauf hoffen, dass jemand zugegen ist, der einem Menschen, der Hilfe braucht, auch hilft. Und dieser Jemand braucht in dieser Situation weder polizeiliche Befugnis noch die Legitimation zum Einschreiten, sondern lediglich die Vernunft, richtig abzuschätzen, wie er das machen kann, ohne selbst zum Opfer zu werden.
Was ist denn das Resultat des Legitimationsdenkens, also der Frage: Wer kann das entscheiden? Hast du mal versucht, ohne Handy die Polizei zu rufen weil einer von deinen Freunden Hilfe braucht? Ich musste beim letzten mal, als das nötig war, 15 Minuten erst höflich rumfragen, dann die ganze Kleinstadt zusammenbrüllen, bis endlich mal jemand seinen !§#$%&? bewegt und mir ein Telefon gebracht hat, weil alle sagten: Das geht mich nichts an, das soll die Polizei erledigen, ich will darin nicht involviert sein. Irgendwie kamen meine Mitmenschen mir in diesem Moment ganz schön dumm vor.
Und genau an dieser Stelle sehe ich ein Problem. Kannst du beweisen dass die Alleinschuld bei Staat und Kapital liegt? Bevor du fragst, nein, ich kann auch das Gegenteil nicht beweisen, aber einfach mal auf gut Glück davon auszugehen, dass solche Probleme mit dem Kapitalismus verschwinden ist schon sehr heikel.
Jep, das ist ohne Frage heikel: Wir reden hier nicht über eine harmlose Steuerreform.
Es lässt sich zeigen, dass die Gedanken, die zu Gewalt führen, aus dem enttäuschten Legitimations- und Gerechtigkeitsdenken der bürgerlichen Ideologie mühelos resultieren. Ob das für jede Gewalttat gilt und insbesondere was folgt, wenn die bürgerliche Ideologie verschwindet, das ist leider nicht wissenschaftlich sauber zu trennen. Genausowenig wie ich die Behauptung gelten lassen kann, dass das Verhalten der Menschen wesentlich aus ihrer Natur resultiert, kann ich nicht behaupten, dass ihr Verhalten ausschließlich aus ihrer Kultur resultiert.
Man kann sich der Frage annähern und exemplarisch zeigen, wo die Interessen der Menschen unweigerlich kollidieren und unversönlich werden, das heißt, wo die Gewalt und das Leid logisch notwendig aus der Einrichtung der Welt folgen. Man kann etwa zeigen, dass Arbeiter im Produktionsprozess ausgebeutet werden und wie diese Ausbeutung dann gerechtfertigt wird. Man findet zum Beispiel die Haltung, dass man sich innerhalb eines Unternehmens eine gemeinsame Identität gibt und sämtliche Probleme, die das Unternehmen an seine Arbeiter weitergibt, anschließend als äußere Bedrohung der Konkurrenzunternehmen betrachtet: In Ordnung, ich muss jetzt Überstunden schieben und Gehaltskürzungen hinnehmen, damit mein Unternehmen mir weiterhin einen Arbeitsplatz bieten kann! Ich stelle mich also auf den Standpunkt des abstrakten Prozesses, der mich ausbeutet und identifiziere mich damit: Der Feind liegt dann im Äußeren. Selbiges für gilt für die Nation.
Ich kann eine Menge Irrationalitäten auf Staat und Kapital zurückführen. Natürlich nicht alle. Eine Naturkatastrophe muss ich hinnehmen und den schaden konstruktiv ausbessern. Bei Staat und Kapital hingegen sehe ich keinen Grund, sie anders zu kritisieren als destruktiv.
Sicher, so etwas wie materieller Status wird aufgehoben und kann somit auch kein Grund mehr für Verbrechen gleich welcher Art sein. Es geht mir auch gar nicht um irgendetwas materielles, denn Kommunismus würde ja, so er denn tatsächlich funktioniert, automatisch zur Aufhebung materieller Unterschiede führen. Das Problem liegt im Zwischenmenschlichen, nur weil Du und ich vernünftig genug sind niemanden umzubringen, heißt das ja nicht, dass das bei jedem anderen auch so ist. Es muss wohl nicht weiter erwähnt werden dass unterschiedliche Menschen auf ähnliche Situation komplett verschieden reagieren.
Ehre und Stolz haben nicht ausschließlich mit materiellem Besitz, sondern auch mit sozialem Status zutun. Dieser soziale Status hat nicht nur mit Besitz zutun (und hätte es im Kommunismus aus naheliegenden Gründen gar nicht mehr), sozialer Status hat auch etwas mit der akzeptanz in der Gesellschaft, mit der Zahl der Freunde, etc. zutun. All das hat aber nichts mit dem Kapitalismus zutun. Man kann eben nicht alles was irgendwie schief läuft auf den Kapitalismus abwälzen. Manchmal erweckst du bei mir den Eindruck, dass du meinst die Abschaffung von Staat und Kapital sei die Universallösung für alles
Was den Punkt mit dem heute wirklich sogenannten Sozialkapital - Freunde
- angeht, ist das streitbar. Ich denke, ich könnte auch diesen Teil des Zwangs zum Vergleich auf bürgerliche Logik reduzieren. Aber ich möchte mich nicht an diesem Beispiel aufhängen, weil ich dir Recht gebe, dass die Abschaffung des Kapitalismus nicht die Universallösung ist. Es wird nicht zu einer Utopie führen, in der die Menschen keine Probleme mehr haben und das Denken einstellen müssen. Sie werden weiterhin vor allgemeinen und individuellen Problemen stehen und gemeinsam Wege finden müssen, diese zu lösen.
Der Punkt, den ich versuche zu erklären, ist lediglich der: Solange es Staat und Kapital gibt und Menschen sich in ihrer Kritik nicht auf ihren eigenen, sondern auf den Standpunkt von Staat und Kapital stellen, sind die Wege zu diesen Problemlösungen verbaut. Denn jede Überlegung, wie man ein Problem lösen könnte, müssen immer auf ihre Anwendbarkeit auf dieses irrationale System bezogen sein. Wenn in Europa Butterberge schmelzen und in Afrika Hunger herrscht, dann liegt die Lösung fast auf der Hand, aber man darf sie nicht umsetzen, denn die Konsequenzen wären zerstörte Märkte.
Das Beispiel ist auch nicht zu glücklich: Es geht einem Kommunisten nämlich nicht darum, die Güter weltweit gleich zu verteilen. Es würde in Anbetracht der Problematik in Afrika zum Beispiel schon reichen, wenn wir aufhören würden, sie auszubeuten oder ihnen zu zeigen wie sie sich selbst ausbeuten können. Dann könnten Lösungen endlich in Angriff genommen werden, auch wenn das selbst noch nicht die Lösung ist.
Vielleicht mag es daran liegen, dass ich mich selbst nicht als sonderlich glücklichen Menschen bezeichnen würde, was übrigens nichts mit materiellen Gründen zutun hat, aber die Vorstellung, dass wir alle immer glücklich sein sollten erscheint mir geradezu wie ein gleichfalls naiver und absurder Wuschtraum.
Das möchte ich auch niemandem versprechen. Die Betonung lag in meinem Satz nicht auf "immer glücklich", sondern auf "in ihrer Unterschiedlichkeit glücklich".
Kommunismus ist auch nicht die Lösung des Energieproblems, zum Beispiel, wenn auch ein erheblicher Beitrag. Aber dieses Feld überlasse ich lieber den Leuten, die sich damit auskennen. Ich kenne mich ganz gut mit bürgerlicher Ideologie aus und rede deshalb viel darüber. Illusionen mache ich mir deshalb aber nicht.
Ich halte es insgesamt für falsch die Ursache für alle Probleme immer im Kapitalismus zu suchen, auch wenn ich dir insoweit zustimme, dass das Kapital eine Vielzahl von Problemen schafft die eigentlich unnötig wären.
Das ist eben schon der Knackpunkt: Die Probleme, die künstlich geschaffen werden, sind unnötig und die Probleme, die darüber hinaus bestehen, können in diesem System nicht angegangen werden.
Es ist nur leider müßig, über die genaue Machbarkeit von dieser und jener Planwirtschaft zu reden, wenn sich die Diskutanten nicht darüber einig sind, dass das Kapital tatsächlich und ohne einen Zweck im Wege steht, wenn Menschen ihre Probleme selbst in die Hand nehmen und lösen wollen. Wenn du zumindest da einstimmst, bin ich schon ziemlich optimistisch.